Wenn der Sturm des Vergessens auf den Hafen der Ehe trifft

Therapiehündin Kimmy kommt regelmäßig in die Tagesbetreuung. Für die SeniorInnen ist eine Stunde mit Kimmy nicht nur ein unterhaltsames Highlight, sie fühlen sich danach auch körperlich besser und können sich länger konzentrieren.

Wenn man nach 55 Jahren Ehe nicht im sicheren Hafen ankert, sondern sich plötzlich auf stürmischer See findet, braucht es einen guten Kompass. Othmar Leeb pflegt seine an Demenz erkrankte Frau Isolde. Zwei Tage pro Woche kann er Kraft tanken, indem er das Steuer aus der Hand gibt und Isolde in die Tagesbetreuung für Menschen mit Demenz bringt.

Montag morgens könnte Othmar Leeb manchmal aus der Haut fahren. Immer, wenn wenig Zeit ist, geht alles schief. Eigentlich möchte er seine Frau Isolde schnell in die Stadt bringen und danach ein paar Stunden für sich haben - Behördengänge erledigen, nach Hause fahren, in Ruhe lesen oder Schlaf nachholen. "Schnell" bedeutet jedoch in der Regel genau das Gegenteil. Das Gewand, das er am Vorabend für Isolde vorbereitet hat, ist nicht zu finden. Isolde ist in der Nacht aufgestanden und hat es verräumt. Manchmal liegt es auf dem Dachboden, wo normalerweise die Wäsche trocknet. Sie räumt gerne Wäsche auf den Dachboden - manchmal öffnet sie die Waschmaschine, während diese noch mitten im Waschgang ist, um die Wäsche auf den Dachboden zu räumen. Dann muss Othmar Leeb aufwischen, alles wieder zusammensammeln und von vorne beginnen. Eine halbe Stunde später wiederholt sich die Geschichte. Tage wie diese bringen den 80-Jährigen an seine Grenzen. 55 Jahre sind Othmar und Isolde verheiratet. Eine Zeitspanne, die zusammenschweißt. Eine Zeitspanne, nach der man nicht einfach "Ballast abwirft", auch wenn es schwierig wird. Jahrzehntelang hatten die beiden passionierten Segler gemeinsam am Attersee die Segel gehisst. Im Duo war gegenseitige Verlässlichkeit unumgänglich. Mit klarer Kommunikation und Vertrauen auf den anderen ging kein Manöver schief.

Als bei Isolde vor zwei Jahren beginnende Demenz festgestellt wurde, warf die Diagnose Othmar Leeb nicht aus der Bahn. Seine Frau hatte sich schon aus Schlimmerem herausgekämpft. Vier Jahre zuvor war sie nach einem Unfall und einer Gehirnblutung halbseitig gelähmt gewesen und konnte nicht mehr sprechen. Damals hatte er sich schon um einen Pflegeplatz umgesehen. Wie durch ein Wunder konnte Isolde nach sechs Wochen Reha wieder gehen und sprechen. Der Gedanke an einen Pflegeplatz holt ihn heute jedoch wieder ein. Das Zusammenleben wird zunehmend belastender.

Auszeit vom Pflegealltag

Zweimal pro Woche bringt Othmar Leeb seine Frau in die Elisabeth Stub'n der Caritas, eine Tagesbetreuung für Menschen mit Demenz. Den Tipp bekam er vor einem halben Jahr, um zumindest einen Tag für sich zu haben. Gleichzeitig genießt Isolde die Gesellschaft. Sie hat einen hohen Betreuungsbedarf und kommt in der Tagesbetreuung auf ihre Kosten. Hier sind für die bis zu acht Menschen mit Demenz immer zwei MitarbeiterInnen da, fallweise auch PraktikantInnen und Freiwillige. Diese gehen mit den SeniorInnen spazieren, unterhalten sich mit ihnen und machen Gedächtnistraining. Ein Highlight ist die Hundetherapie alle zwei Wochen. Jedes mal, wenn Berta Wöckinger mit ihrer Mischlingshündin Kimmy kommt, herrscht Aufregung. Kimmy läuft fröhlich herein, wandert von einer Person zur nächsten und lässt sich mit Leckerbissen und Streicheleinheiten begrüßen. Den SeniorInnen geht das Herz auf,wenn die Hündin eine Pfote in ihren Schoß legt oder Kunststücke vorführt. Sogar körperliche Beschwerden werden vergessen. Auch die Leiterin der Elisabeth Stub'n, Marjane Matic, bemerkt die Veränderungen. "Unsere Gäste fangen zu plaudern an und sind kontaktfreudiger. Es fällt ihnen leichter, sich zu konzentrieren." Zusätzlich schult Kimmy die Feinmotorik, indem sie sich füttern lässt, und motiviert mit Ballspielen zu Bewegung. Berta Wöckinger und Kimmy kommen ehrenamtlich in die Tagesbetreuung - ein unschätzbares Geschenk an Zeit, das die SeniorInnen sichtlich genießen.

Auch bei Isolde schlägt der Umgebungswechsel an. In der Elisabeth Stub'n kann sie tadellos Gespräche führen. Genauso bei Familienfesten. Aber sobald die Abwechslung vom Alltag vorbei ist, kommt der "totale Zusammenbruch", wie Othmar Leeb es nennt - völlige Verwirrtheit, Inkontinenz, etc. Ihre beiden Söhne hatten daher lange keinen Einblick, wie es um ihre Mutter wirklich stand. Othmar Leeb trug - und trägt - die Hauptlast.

Fast regelmäßig gibt es abends Streit, weil Isolde davon überzeugt ist, sie trage ein Nachthemd, aber eigentlich mit den Beinen in einen Pullover geschlüpft ist. Zur Vergesslichkeit und Verwirrtheit kommt noch die Wut über sich selbst - und manchmal auch gegen ihren Mann, den sie in ihrer Hilflosigkeit verantwortlich macht.

Othmar Leeb brauchte lange, um für sich selbst eine Strategie zu finden, mit der Situation umzugehen. Früher wurde er laut. Stritt. Sah ein, dass er genauso eine Wand anbrüllen könnte. Mittlerweile wird er leise. Und zieht sich zurück. In letzter Zeit wundert sich Isolde, warum Othmar nicht mehr explodiert. Stattdessen geht er in solchen Situationen in sein Zimmer und sagt, er sei für eine Stunde nicht erreichbar.

In "wachen" Momenten sprechen die beiden über die Zukunft. "Wir müssen miteinander reden", sagt Isolde dann. "Ich bin eine große Belastung für dich. Was können wir dagegen tun?". Die Segel-Vergangenheit kommt den beiden zugute. Wenn es morgens schnell gehen muss, wird Othmar Leeb zum Schiffskapitän. Statt Bitten kommen Befehle - und Isolde versteht und folgt." Am Schiff funktioniert es auch nur mit Befehlen", hatte Isolde damals gesagt, als sie über ihren Umgang miteinander redeten. "Mach es wie am Schiff. Gib mir Kommandos und ich melde zurück."

Zwischen Zukunftsängsten und Alltagsfreuden

Othmar Leeb möchte seine Frau nicht aus der gewohnten Umgebung reißen. Als Isoldes Mutter in ein Pflegeheim kam, sagte sie "Einen alten Baum verpflanzt man nicht". Othmar Leeb weiß, dass es seiner Frau ähnlich geht. Manchmal kann er nicht schlafen. Dann kommt alles hoch. Alleine ist ihm die 104m2-Wohnung zu groß. Was soll er mit 3.800 Büchern machen? Was mit den Bildern, den Biedermeier-Möbeln? Dann steht er auf und liest einen Krimi.

Andere Nächte geben ihm hingegen Kraft. Normalerweise schlafen die beiden in getrennten Zimmern, seit den 90er-Jahren, weil Isolde Othmars Schnarchen zu viel wurde. Manchmal kommt sie jedoch und wünscht sich, dass sie die Nacht gemeinsam in einem Bett verbringen. Manchmal trinken sie gemeinsam einen Espresso und erinnern sich an gemeinsame Erlebnisse und lachen. Manchmal gehen sie zu einem Vortrag, bei dem Isolde angeregt mitschreibt und sich mit den Leuten unterhält. Es gibt sie noch, die schönen Momente.

Othmar Leeb ist ein Anpacker. Er war Unternehmenssprecher und selbstständiger IT-Berater. Bis zum 73. Lebensjahr führte er seine eigene Firma. So manövriert er sein Boot auch jetzt durch stürmische Zeiten. Ohne Hilfe geht es jedoch nicht mehr. Die zwei Tage, an denen Isolde in der Elisabeth Stub'n ist, entlasten den Pensionisten. Auch ein PAULA-Kurs für pflegende Angehörige erwies sich als große Stütze. Dort erhielt er Tipps, um sich den Alltag zu erleichtern. Besonders wertvoll war für ihn allerdings die psychosoziale Beratung der Caritas. "Das gibt ungeheure Kraft und Erkenntnisse, was man mit demenzbetroffenen Angehörigen machen soll. Damit kann man eine gewisse Verzögerung bewirken", ist Othmar Leeb überzeugt - und rät Betroffenen, schnell zu handeln, sobald sie erste Zeichen sehen. "Sobald man etwas merkt, sollte man sofort Hilfe in Anspruch nehmen. Denn wenn etwas einmal weg ist, kann man es nicht mehr zurückholen."