Wenn Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen älter werden

Am Foto v.li.: Beate Huber-Peham, Hausleiterin in Andorf, Caritas-Geschäftsführer Mag. Stefan Pimmingstorfer, Sofie Bakker, Tochter der verstorbenen Mäeutik-Gründerin Dr. Cora van der Kooij, Martina Anzengruber, Betreuerin in einer Wohngruppe für Erwachsene & Senioren in St. Pius, Josef Ratzenböck, MA, Abteilungsleiter Wohnen Erwachsene und Senioren

In der Betreuung von Menschen mit Beeinträchtigung tauchte in den vergangenen Jahren eine zuvor noch nie da gewesene Herausforderung auf: Beeinträchtigte Menschen erreichen ein immer höheres Alter. Um ihnen auch in dieser Lebensphase ein gutes Leben zu ermöglichen, leistete das Caritas-Team Pionierarbeit: In zehnjähriger Forschungszeit passten sie das mäeutische Altenpflegemodell an die Bedürfnisse von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen an.


Im Pflegemodell der Mäeutik stehen die Fähigkeiten und Fertigkeiten von betreuten Menschen im Mittelpunkt. Die MitarbeiterInnen lernen, sich immer besser in die Lebenswelt der BewohnerInnen einzufühlen und die Pflege nach den individuellen Bedürfnissen zu gestalten. Die Mäeutik gibt den MitarbeiterInnen außerdem ein Handwerkszeug mit, mit dem sie unbewusste Wahrnehmungen und Handlungen in der Betreuung des Menschen auf eine bewusste professionelle Ebene heben können.

Die Caritas Oberösterreich ist österreichweit die erste Sozialorganisation, die das mäeutische Pflegemodell bei der Betreuung von beeinträchtigen Menschen in der Phase des Alterns umsetzt. Die Idee dazu hatte Mag. Stefan Pimmingstofer, Geschäftsführer der Caritas für Menschen mit Behinderungen, als sich vor zehn Jahren am Caritas-Standort St. Pius abzeichnete, dass die BewohnerInnen aufgrund zunehmenden Alters immer mehr Pflege brauchen. „Das war für uns eine völlig neue Situation, auf die wir uns natürlich vorbereiten wollten. Aber aufgrund der Verfolgung von Menschen mit Beeinträchtigungen im Nationalsozialismus und der fehlenden medizinischen Versorgung hat es diese Situation in der Geschichte zuvor nie gegeben. Es fehlte also eine Grundlage, wie die Betreuung von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen im Alter aussehen soll“, erzählt der Caritas-Geschäftsführer. 2010 hob er gemeinsam mit der Holländerin Dr. Cora van der Kooij, die das mäeutische Pflegemodell entwickelt hatte, ein Pilotprojekt aus der Taufe, das die Mäeutik in der Langzeitpflege für alte Menschen mit Beeinträchtigungen integriert. Noch im selben Jahr nahmen MitarbeiterInnen in St. Pius an einer mäeutischen Basisschulung teil. In den Jahren danach reiste Dr. van der Kooij regelmäßig nach Österreich, um in Zusammenarbeit mit der Caritas die mäeutischen Instrumente für Menschen mit Beeinträchtigung auszuarbeiten.

Wecken schlummernder Kompetenzen

„Wenn jemand einen guten Weg im Umgang mit einem/er BewohnerIn gefunden hat, wird das Wissen geteilt. Der Austausch im Team ist viel intensiver und ein zentrales Instrument der Mäeutik“, erklärt Mag. Stefan Pimmingstorfer. Fixer Bestandteil der mäeutischen Betreuung sind auch regelmäßig Bewohnerbesprechungen, bei denen nicht nur das Betreuerteam, sondern auch der/die „betroffene Person“ und Angehörige dabei sind. „Die BewohnerInnen genießen es, dass wir uns Zeit nehmen und über ihre Bedürfnisse sprechen. Mit gezielten Fragen versuchen wir, dass die Menschen sich ihres in sich schlummernden Wissens und ihrer Kompetenzen bewusst werden“, erklärt der Caritas-Geschäftsführer. Bei der Mäeutik fließt immer die individuelle Lebensgeschichte mit ein. Sie wird dokumentiert, so dass auch neue MitarbeiterInnen sofort ein ganzheitliches Bild zu dem Menschen haben.
 

Buch „Komm doch mal in meine Welt“ erschienen

 „Um auch europaweit in diesem Bereich vernetzt zu sein, riefen wir vor zwei Jahren das EU-Projekt ‚Herzdenken‘ ins Leben und tauschten uns mit Partnerorganisationen in Deutschland, Polen und Rumänien aus“, so Pimmingstorfer. Die praktischen Ergebnisse des Projektes wurden in einem Handbuch verfasst. Die fachlichen und theoretischen Ausführungen sind im letzten Buch von Cora van der Kooij „Komm doch mal in meine Welt“, das vor kurzem bei einer Caritas-Fachtagung in Linz anderen Organisationen im Sozialbereich präsentiert wurde, verfasst.

Das Buch soll künftig nicht nur in Österreich, sondern auch in anderen Ländern dem Personal  in sozialen Dienstleistungsorganisationen der Behindertenhilfe als Handlungsanleitung dienen, wie Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen in der Lebensphase des Alterns betreut werden.

Das gemeinsam mit Dr. Cora van der Kooij herausgegebenen Buch „Komm doch mal in meine Welt“ gibt es bei Renate Oberschmidleithner unter renate.oberschmidleithner@caritas-linz.at zu erwerben.

Weitere Infos finden sie auf Herzdenken - ein Erasmus+ Projekt