Historische Aufarbeitung von Gewalt in den Heimen der Caritas OÖ

Am Foto v. li.: Dr.in Angela Wegscheider, Bischof Dr. Manfred Scheuer, a. Univ. Prof. Dr. Michael John, Dr. in Marion Wiesinger und Caritas OÖ-Direktor Franz Kehrer, MAS

Die Caritas OÖ hat 2016 bei einem unabhängigen Forscherteam eine Studie in Auftrag gegeben, um die Geschichte und die Hintergründe der strukturellen Gewalt in ihren Heimen aufzuarbeiten. „Wir wollen uns damit unserer Verantwortung stellen und mit der Studie darauf hinwirken, dass sie nicht in Vergessenheit gerät und uns Mahnung für die Zukunft ist“, so Caritas OÖ-Direktor Franz Kehrer, MAS. Die Buchautoren a. Univ. Prof. Dr. Michael John, Dr.in Marion Wisinger und Dr.in Angela Wegscheider präsentierten die Ergebnisse am Freitag, 25. Oktober, im Ursulinenhof in Linz.

Gegenstand der Studie „Verantwortung und Aufarbeitung. Untersuchung über Gründe und Bedingungen von Gewalt in Einrichtungen der Caritas OÖ nach 1945“ sind folgende Einrichtungen: das ehemalige Erziehungsheim Steyr-Gleink (geschlossen 2009), das ehemalige Schülerheim Windischgarsten (von 1954 bis zur Schließung 1985 von der Caritas geführt) sowie die Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen St. Pius und St. Isidor.

Neben einer umfangreichen Aktenrecherche führte das Forscherteam mehr als 120 Interviews mit ehemaligen Heimkindern, ErzieherInnen und VerantwortungsträgerInnen.

Bislang haben sich bei der diözesanen Ombudsstelle gegen Missbrauch und Gewalt 334 Personen gemeldet, die angaben, Opfer von Gewalt in Einrichtungen der Caritas OÖ geworden zu sein. 290 davon waren im ehemaligen Erziehungsheim Steyr-Gleink untergebracht, 12 Personen im Schülerheim Windischgarsten, 58 in St. Isidor und St. Pius. Die meisten der gemeldeten Vorfälle ereigneten sich bis Ende der 80er-Jahre.

 „Die Schilderungen des vielfach erlittenen Leids der Kinder und Erwachsenen, das Ausmaß der verübten Gewalt in allen Formen und das Versagen der Verantwortlichen innerhalb und außerhalb der Caritas über viele Jahre hinweg, sind erschütternd. Auch wenn ich weiß, dass sich das Leid dadurch nicht mindern lässt, bitte ich dennoch im Namen der Caritas in Oberösterreich all jene, die von Gewalt in unseren Einrichtungen betroffen waren, aufrichtig um Entschuldigung“, so Caritas-Direktor Kehrer bei der Studien-Präsentation.

„Auch, wenn es kein Leid ungeschehen machen kann, so bitte ich die Betroffenen von Gewalt in Einrichtungen der Caritas dennoch als heutiger Repräsentant der katholischen Kirche in Oberösterreich aus tiefem Herzen um Entschuldigung für das Handeln kirchlicher MitarbeiterInnen in der Vergangenheit“, so Bischof Dr. Manfred Scheuer.

Multifunktionales Versagen

Im Erziehungsheim Steyr-Gleink ortet Historikerin Marion Wisinger ein „multifunktionales Versagen“ der Verantwortlichen von Caritas, dem Orden der Herz Jesu Missionare, der das Heim bis 1989 führte, und den zuständigen Landesbehörden. Die zahlreichen Hinweise, dass vor allem bis Ende der 70er-Jahre hinter den Mauern ein System von psychischer und physischer Gewalt sowie sexuellen Missbrauchs herrsche, wurde von den oberen Leitungsebenen ignoriert und nicht bzw. zu wenig eingegriffen. In den 1950er-Jahren waren Körperstrafen üblich und Kinderrechte unbekannt. „In Gleink ging man über das ‚Übliche‘ weit hinaus. Beschwerden zeigten, dass die Kinder im Anfangsjahrzehnt zu wenig zu essen bekamen, Kollektivstrafen verhängt wurden und die Kinder beispielsweise im Winter im Freien Strafe stehen mussten“, sagt Studienleiter Michael John. Ein ehemaliger Erzieher aus Steyr-Gleink leitete auch das Schülerheim Windischgarsten und wandte dort ebenso wie ein Teil der MitarbeiterInnen härteste Strafen an. Dennoch waren nicht alle Jugendlichen von Gewalt betroffen und es habe auch MitarbeiterInnen gegeben, die gute Arbeit leisteten, so Wisinger.

ErzieherInnen ohne Ausbildung

„Bis in die 1980er Jahre war in den Heimen das Züchtigungsargument ein dominierender Faktor, um Kinder und Erwachsene mit Beeinträchtigung zu brauchbaren Mitgliedern der Gesellschaft zu machen“, so Angela Wegscheider, die zur Geschichte von St. Pius und St. Isidor forschte. Die ErzieherInnen in den Heimen hatten zum Teil bis in die 80er-Jahre keine Ausbildung.  Wegscheider hält aber in der Studie fest, dass nur ein kleiner Teil der Beschäftigten in St. Isidor der Gewaltanwendung beschuldigt werden, es gebe zahlreiche Beispiele, dass MitarbieterInnen freundlich mit den Kindern umgingen. Ab Mitte der 1990er-Jahre wurden in beiden Einrichtungen grundlegende Reformen durchgeführt.  Heute haben die Förderung von Selbstbestimmung und Selbständigkeit der BewohnerInnen Priorität, es gibt laufende Kontrollen von den externen und unabhängigen Stellen des Landes und der Volksanwaltschaft

Konsequenzen für die Caritas

„Obwohl wir in der Caritas inzwischen bereits grundlegende Reformen durchgeführt und zahlreiche Vorkehrungen getroffen haben, um alle Menschen in unseren Einrichtungen vor jeglicher Gewalt bestmöglich zu schützen, wollen wir aus der Studie auch Erkenntnisse gewinnen, wo wir weiteren Verbesserungsbedarf haben. Wir dürfen beim Thema Gewaltschutz niemals stehenbleiben. Es braucht immer wieder eine Schärfung unserer Wahrnehmung, um Warnsignale und Grenzüberschreitungen möglichst frühzeitig zu erkennen“, sagt Caritas-Direktor Franz Kehrer.

Die gesamte Studie ist unter www.caritas-linz.at/aktuell/ueber-uns/geschichte/historische-aufarbeitung-zu-gewalt-in-einrichtungen-der-caritas-ooe/ abrufbar.