Portrait Franz Kehrer

Portrait Franz Kehrer

Es könnte auch anders sein

Gastkommentar von Franz Kehrer, MAS, zum Tag der pflegenden Angehörigen in den OÖ Nachrichten.

Es trifft fast jede 4. Familie in Österreich, tritt manchmal plötzlich auf oder entwickelt sich schleichend: die Betreuung und Pflege von Angehörigen. Ist eine Hilfs- und Pflegebedürftigkeit eingetreten, verändert sich der Alltag – in den meisten Fällen für Frauen – oft grundlegend. Es kann sein, dass man zwar die Pflege gerne übernehmen möchte, weil man dem Partner oder der Mutter, dem Vater den Lebensabend so schön wie möglich gestalten will. Und dann dennoch an seine Grenzen stößt, weil einen die ständige Sorge um den Angehörigen zermürbt und eine Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit erfordert, die das eigene Leben in den Hintergrund treten lässt. Es kann vorkommen, dass man frustriert ist von den vielen organisatorischen und bürokratischen Hürden. Oder weil man sich plötzlich mit der Entscheidung konfrontiert sieht, seine Berufstätigkeit aufgeben zu müssen, weil es die Pflege kaum mehr zulässt. Es kann sein, dass man gekränkt und hilflos ist, weil man das Gefühl hat, es nie richtig zu machen und die Erfolgserlebnisse oft ausbleiben, da der körperliche und psychische Verfall fortschreitend ist. Es kann verletzend sein, wenn Außenstehende der Meinung sind, es wäre doch alles nicht so schlimm. Der gut gemeinte Rat „Du musst auch auf dich schauen“ ist nett gemeint, im Pflegealltag aber oft einfach nicht möglich. Das Gefühl der Überforderung kann so groß werden, dass man zu gar nichts mehr fähig ist.

Es könnte aber eigentlich auch anders sein. Wenn man zum Beispiel mit der Übernahme der Pflege und Betreuung von Angehörigen nicht alle Vereinsfahrten, Kurzurlaube, Konzertbesuche und Auszeiten streichen müsste, weil es eine stundenweise Betreuung auch an Randzeiten oder über die Nachtstunden gäbe. Wenn es ausreichend und geförderte Kurzzeit-Pflegeplätze und Tagesbetreuungs-Einrichtungen gäbe. Wenn man nicht um eine gute Pflegegeldeinstufung kämpfen müsste, an die dann auch der Anspruch auf andere Leistungen gekoppelt ist. Die Sichtweise von Angehörigen fließt in die Begutachtung meist nicht ein und es wird nicht berücksichtigt, dass die Betreuung von an Demenz erkrankten Personen eine Rund-um-die-Uhr-Anwesenheit erfordert, auch wenn die Betroffenen meist körperlich noch fit sind. Und wenn es eine ausreichende Grundsicherung gäbe, wenn man die Pflege und Betreuung übernimmt, müsste man als sorgender Angehöriger nicht um die eigene finanzielle Absicherung bangen.

Nichts geht von heute auf morgen, aber betreuende und pflegende Angehörige haben lange genug geduldig gewartet. Nun braucht es ihren Bedürfnissen entsprechende Reformen, die auf den Weg gebracht werden müssen. Und genau das soll anlässlich des Tags der pflegenden Angehörigen eingefordert werden: Wer hilft, dem wird geholfen – wer pflegt, der wird unterstützt. Denn eines darf nicht übersehen werden: Pflegende Angehörige leisten Enormes und sind eine sehr wesentliche Säule unseres Pflegesystems. Daher muss eine tragfähige Pflegereform auch diese Säule stärken.

 

 

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Anlässlich des „Nationalen Tages der pflegenden Angehörigen“ las Katja Jungwirth am 10. September aus ihrem Buch „Meine Mutter, das Alter und ich“. Die Lesung zum nachschauen: https://www.caritas-linz.at/hilfe-angebote/service-fuer-pflegende-angehoerige/aktuelles/detailansicht-aktuelles/news/87218-meine-mutter-das-alter-und-ich-online-lesung-mit-der-autorin-katja-jungwirth/