Beim Leben begleiten – bis zuletzt

Anny Misera mit Palliativschwester Lisa Ofner


Die Mobilen Hospiz- und Palliativteams bieten Menschen mit unheilbaren, weit fortgeschrittenen Erkrankungen und deren Angehörigen eine umfassende Betreuung und Begleitung zuhause an.

Anny (65) und Erich Misera (66) liebten ihr Leben. Sie ist pensionierte Lehrerin, er war gelernter Dreher, absolvierte auf dem 2. Bildungsweg die HTL und war bis zur Pension als Betriebsingenieur der Voest bzw. Projektleiter in der Siemens VAI tätig. Das Ehepaar war stolz auf seine drei Kinder, hatte das erste Enkerl, reiste viel, unternahm Ausflüge mit Freunden und genoss die Arbeiten rund um Haus und Garten.

Im Juli 2014 plötzlich bemerkte Erich, dass er weniger Kraft in seinen Händen hatte. Es kam zwar kurz der Gedanke auf die Nervenkrankheit ALS auf, weil seine Mutter daran erkrankt und verstorben war, doch der Gedanke wurde sofort zur Seite geschoben. Als die Schwächen immer offensichtlicher wurden, ging Erich stationär ins Wagner Jauregg Krankenhaus, dem heutigen Neuromed Campus Linz. 10 Tage lang wurde er untersucht, dann stand die Diagnose fest: ALS, eine rasch fortschreitende Nervenerkrankung, die im Durchschnitt innerhalb von 3 bis 5 Jahren zum Tod führt. Es gibt kein Heilmittel, nur Medikamente, die den Fortschritt der Krankheit etwas verzögern.

Bis zum Frühjahr 2015 sah es auch so aus, dass sein Zustand stabil war und das Ehepaar fuhr noch zwei Mal nach Frankreich zu Annys Familie. Die Wanderungen waren klein, aber die beiden genossen den Tapetenwechsel. Nach und nach ließen immer mehr Muskeln nach. Schließlich wurde das Sprechen schwieriger, die Mimik und Gestik wurde weniger. Im September 2015 machten sie einen letzten gemeinsamen Familienurlaub in der Türkei. „Die Wärme hat ihm gut getan und er genoss das Schwimmen im warmen Wasser“, erzählt Anny. „Durch die Erkrankung wurde er sehr kälteempfindlich. Das kannte ich an ihm überhaupt nicht.“

Ab jetzt verschlechterte sich sein Gesundheitszustand rasant. „Im Dezember waren wir in der Therme – da konnte er plötzlich nicht mehr schwimmen und er bekam Schluckbeschwerden. Eigentlich hätte er da sofort ins Krankenhaus sollen, um eine Ernährungssonde zu erhalten, doch er wollte sie nicht.“ Mit viel Liebe und Zeitaufwand bekam er Püriertes, Suppen, Pudding und Cremen. Da er rapide abnahm – von 75 kg auf zuletzt 50 kg – bekam er zusätzlich hochkalorische Nahrung aus der Apotheke. Diesen Tipp bekam Anny beim Stammtisch für pflegende Angehörige, den sie seit September 2015 besuchte. „Dieser Austausch tat mir wirklich gut. Hier bekam ich viele wertvolle Anregungen, z.B. dass ich mich an das Mobile Hospiz Palliative Care wenden sollte. Ich aber zögerte, weil für mich das Wort „Palliativ“ mit Sterben assoziiert war, doch eigentlich heißt es ‚ummanteln, umsorgen‘.“

Schließlich schaffte Anny Misera nicht mehr alles alleine. Eine Hauskrankenpflege kam zwei Mal pro Woche, und Mitte Juni kam Palliativschwester Lisa Ofner vom Mobilen Palliativteam der Caritas zum Erstgespräch. „Erich Misera konnte noch gehen. Er öffnete mir sogar selbst die Türe“ erinnert sich Ofner an den Besuch. Gemeinsam mit Anny und Erich Misera schaute sie, was im Alltag optimiert werden konnte und kam ab diesem Zeitpunkt zwei Mal wöchentlich vorbei.

„Uns half diese Unterstützung sehr“, erzählt Anny. „Zum einen halfen natürlich die praktischen Tipps, zum Beispiel wie die Schluckbeschwerden besser in den Griff zu bekommen sind, zum anderen konnten wir über alles reden. Wir hatten die Sicherheit, dass wir beim Palliativteam anrufen können, wenn etwas ist. Und wir konnten uns mit dem Sterben auseinandersetzen. Für mich hat der Tod dadurch seinen Schrecken verloren. Ich akzeptierte – auch wenn es noch so schwer ist – dass Erichs Leben aufgrund seiner Erkrankung auf natürliche Art und Weise zu Ende war.“

Anny war wichtig, sich nicht ganz von der Krankheit einnehmen zu lassen. Deshalb ging sie weiterhin zur Chorprobe. Dank der ehrenamtlichen Mitarbeiterin des Hospizteams wusste sie Erich in dieser Zeit – selbst spätabends – in den besten Händen.

In den letzten Wochen überschlugen sich die Ereignisse. Erich stimmte nun doch einer Ernährungssonde zu. Er kam ins Krankenhaus, die Operation verlief erfolgreich. Er kam nach Hause. Doch er fing zu fiebern an, sein Zustand verschlechterte sich. „Am Samstag suchte er noch den Augenkontakt. Wir alle konnten uns da von ihm bewusst verabschieden. Am Montag früh, 18. Juli 2016 ist er dann gestorben. Ich bin natürlich unendlich traurig, aber ich bin froh, dass Erich zu Hause sterben konnte. Auch Erich hatte es so gewollt.“ Dank des Palliativteams fühlte sich Anny sicher in dieser Entscheidung.

Im Nachhinein würde sie nicht vieles anders machen. Was sie aber anderen Menschen in ähnlichen Situationen rät, ist nicht alleine zu bleiben mit einer solchen Diagnose. Ehrlich gegenüber sich selbst und den anderen sein – und die Hilfe, die geboten wird, anzunehmen. Egal ob von Freunden, Angehörigen oder Fachkräften „Jeder muss dabei selbst aktiv werden – aber es gibt in Oberösterreich so viele Hilfen – und diese soll man rechtzeitig annehmen.“ 

Anny Misera kümmert sich um Erichs Bonsaipflanzen