„Am meisten hasst man sich selbst“

Bildtext: Silke Mayer und  Volker Hofer begleiten Menschen mit psychischen Problemen auf dem Weg in die Selbständigkeit. Die Schnecken-Spirale symbolisiert die Prinzipien von „invita“: Veränderung, Beharrlichkeit und Sprungvermögen.


Jeder hat ein eigenes Bild von Menschen, die psychisch so schwer erkrankt sind, dass sie in einer betreuten Einrichtung leben. Selten hat man direkten Kontakt, und gerade daher gibt es viele Ängste. Die Caritas-Einrichtung „invita“ betreut diese Menschen. Sie haben oft psychisch so viele Verletzungen davongetragen, dass sie ihr Leben lang darunter leiden. Die SozialbetreuerInnen von „invita“ sind Profis darin, den Menschen dabei zu helfen, besser mit ihren psychischen Problemen leben zu können.

Manchmal reichte ein Blick, um einen Orkan auszulösen. Ein WG-Kollege brauchte nur zur Tür hereinzukommen und Melanie explodierte. Sie beschimpfte und beleidigte ihr Umfeld, verteilte ihre Wut großzügig, während die SozialbetreuerInnen daneben standen und eine Erklärung für den Ausbruch, der scheinbar aus dem Nichts kam, suchten.

Melanie kam mit 17 Jahren zu „invita“. So wie alle, die hier leben, kam sie mit ihrem eigenen „Packerl“: Als sie fünf Jahre alt war, verließ ihre Mutter die Familie. Melanie gab sich selbst dafür die Schuld. Sie sah in sich selbst – dem „letzten“ Kind – den Auslöser. In ihr kreiste ständig die Angst, dass wieder ein geliebter Mensch weggehen würde. So trat sie die Flucht nach vorne an: Sie ließ niemanden mehr an sich heran. „Ich wusste, wenn ich böse zu den Leuten bin, kommen sie mir nicht nah“, erzählt sie. „Ich habe alles und jeden gehasst – und am meisten mich selbst.“ Im Fachjargon nennt sich ihre Diagnose „aggressive Bindungsstörung“. Ihr Vater war überfordert, das Jugendamt verwies das Mädchen in eine Einrichtung. Sie kam zu „invita“ in Engelhartszell.

Rückhalt am tiefsten Punkt
Oft erhalten die SozialbetreuerInnen nur wenige Vorinfos, wenn jemand neu dazukommt. Es ist ein langsames Herantasten: Wer ist dieser Mensch, und was hat er erlebt, das ihn zu dem gemacht hat, der er heute ist? Und was hilft ihm, besser mit der psychischen Erkrankung umzugehen? Denn oft ist eine „Heilung“ nicht möglich und es geht darum, Strategien zu finden, so dass die Krankheit den Alltag nicht mehr so stark dominiert.

Manche der BewohnerInnen hören Stimmen, andere werden schnell ausfallend. Fast alle haben ein Bindungstrauma. Sie haben Missbrauch, Vertrauensbrüche und desolaten Familienverhältnisse erlebt. Eine rechtzeitige Frühförderung hätte in einigen Fällen die Auswirkungen abgedämpft. Über die Jahre haben sich jedoch die psychischen Probleme manifestiert.

Auch mit Melanie war es anfangs schwierig, erinnert sich Sozialbetreuer Volker Hofer. „Manche Menschen werden von Einrichtung zu Einrichtung gereicht“, sagt er. „Gerade bei einem Bindungstrauma ist es aber wichtig, dass die Bezugspersonen konstant  gleich bleiben. Deshalb haben wir uns bei Melanie dafür eingesetzt, dass sie langfristig bei uns bleiben kann.“ Dieser Rückhalt blieb auch in den Phasen da, wenn Melanie ihn mit „Ich hasse dich“ und „Trottel“ anschrie. Situationen, die von den SozialbetreuerInnen viel Geduld erfordern – und Kreativität. Immer wieder versuchen sie neue Ansätze zu finden, um den Menschen zu helfen, Ventile für ihre psychischen Probleme zu schaffen und ihre Lebensqualität zu erhöhen.

Heute ist sich Melanie darüber im Klaren, wie anstrengend sie war. „Ich bin froh, dass die Betreuer mich ausgehalten haben“, betont sie. Nicht von allen Seiten erfährt sie ein derartiges Verständnis wie in der Betreuung. Im Alltag erlebt sie es oft, dass sie – und andere „invita“-BewohnerInnen –  durch ihre Leben in einer betreuten Einrichtung abgestempelt werden. „Das stößt mir auf, wenn Leute, die ohnehin schon nicht aus ihrer Haut können, noch weiter runtergedrückt werden“, sagt sie. „Jeder hat Zeiten im Leben, wo es einem nicht gut geht.“

Freiwillige Therapien
In den sieben Jahren bei „invita“ hat Melanie – Schritt für Schritt – einen weiten Weg zurückgelegt. Sie explodiert nicht mehr, wenn die Emotionen hochkommen. Stattdessen geht sie spazieren, hört laute Musik oder widmet sich ihrem Boxsack. „Ich kann meine Wut jetzt anders abbauen und wälze sie nicht mehr auf andere ab“, sagt sie.

In diesem Prozess half ihr die stetige Begleitung durch die SozialbetreuerInnen, ein halbes Jahr Psychotherapie und vor allem: ein klares Ziel. Als Melanie zu „invita“ kam, sorgten nicht nur ihre Wutausbrüche für eine turbulente Zeit. Die junge Frau war auch schwanger und wollte versuchen, dem Kind eine gute Mutter zu sein. Zwei Monate nach der Geburt musste sie sich eingestehen: Ich schaffe das nicht. „Ich konnte zu meiner Tochter keine Bindung aufbauen“, gesteht sie. Sie wollte es besser machen als ihre eigene Mutter und setzte sich selbst unter Druck. Gleichzeitig kämpfte sie noch mit ihrer psychischen Erkrankung und dem unverarbeiteten Trauma. Ihre Tochter kam in eine Pflegefamilie. Melanie begann die Psychotherapie…. 

Lesen Sie die vollständige Reportage über das Leben von Menschen mit psychischen Problemen in der aktuellen Ausgabe der „nah dran“. Kostenlos abonnieren bei der Caritas Information, Tel. 0732/7610-2020, information(at)caritas-linz.at